Ein neues Gerät, das einige blinde Menschen in die Lage versetzt, ihre Umwelt mit Hilfe von Klang visuell wahrzunehmen, stellt das gängige Konzept unserer Sinne auf den Kopf.

Das „vOICe“ genannte Gerät (OIC steht für „Oh, I see!“), scannt die Umwelt mithilfe einer kleinen Kamera und übersetzt das Bild in einen abstrakten Klang, der in etwa so kling wie das Geräusch der Laserwaffen von Außerirdischen in den ersten Science-Fiction-Filmen gemacht haben. Durch ein spezielles Training lernen die Gehirne der Nutzer, diese Geräusche in Nähe, Größe, Form und Richtung zu übersetzen – und in einigen Fällen beginnen sie plötzlich, wieder zu sehen. Diesmal allerdings mit den Ohren.

Eine Nutzerin, die in ihrem 21. Lebensjahr erblindete, berichtet, zu Beginn habe sie eine Art Strichzeichnung der Umwelt vor ihrem inneren Auge gesehen, nun sei es eher „wie einen alten Schwarz-Weiß-Film aus den frühen 30er oder 40er Jahren anzusehen.“

Die Erfolge mit dem Gerät versetzten viele Forscher in helle Aufregung: Einen Sinn durch einen anderen ersetzen, wie ist das möglich?

Neuverschaltung im Gehirn

vOICeOffenbar stellt sich durch die längere Nutzung von vOICe eine Neuverschaltung des Gehirns ein – ein verblüffender Beweis für die Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns. Aber auch ein Hinweis, dass unsere Vorstellung von unseren Sinnen vielleicht nicht ganz korrekt ist.

J. Kevin O’Regan, Psychologe and der Descartes University in Paris hat eine Theorie, wie das Sehen mit den Ohren erklärbar sein könnte: Es sei einzig die Beschaffenheit der einkommenden Informationen, die unsere Sinne ausmachen. So würden Informationen, die beispielsweise mit Perspektive zu tun haben eben als „Sehen“ repräsentiert – dabei sei es jedoch in Wirklichkeit egal, wie diese Informationen tatsächlich gewonnen wurden. Letztlich sei es durchaus möglich, mit der Haut oder eben den Ohren zu sehen.

Sollte O’Regan damit Recht haben, müssen wir unsere Vorstellungen wie das Gehirn Informationen gewinnt, organisiert und verarbeitet vielleicht völlig neu überdenken. Bisher wird das Gehirn als aus Modulen aufgebaut begriffen, wobei jedes Modul die Informationen eines bestimmten Sinnesorgans bearbeitet. Nach O’Regan würde das Gehirn aber ganz anders funktionieren, Information würden nach ihrer Art verarbeitet werden, unabhängig davon, durch welches Sinnesorgan sie geliefert wurde.

Auch Alvaro Pascual-Leone, Direktor des Berenson-Allen Center for Noninvasive Brain Stimulation in Boston, teilt diese Ansicht.

„Es stellt die Art, wie wir über das Gehirn denken auf den Kopf“, so Pascal-Leone. „Die meisten von uns stellen sich die Augen wie Kameras vor, die aufnehmen, was vor ihnen ist und dies direkt an das Gehirn übermitteln. Aber vielleicht sucht das Gehirn einfach nur nach bestimmten Arten von Informationen und sichtet die Eingänge, um die beste Übereinstimmung zu finden, unabhängig davon, von welchem Sinn sie kommt.“

Das Training mit Geräten wie vOICe führt dann zu einer schnellen Neuverschaltung des Gehirns. „Das Gehirn durchläuft einen schellen Übergang, indem es Verbindungen nutzt, die schon da sind„, erklärt Amir Amedi, von Hebrew University in Jerusalem.

Synästhesie

Die Forschung erinnert stark an das wohl bekannte Phänomen der Synästhesie bei dem Menschen stark miteinander verknüpfte Sinneswahrnehmungen haben. So können sie beim Anblick einer bestimmten Farbe einen Klang hören, oder einer Form eine Farbe zuordnen.

Die neuen Forschungsergebnisse könnten zu einer ganz neuen Betrachtung und Nutzung dieses Phänomens führen. Vielleicht können Lernvermögen und Wahrnehmung des Menschen stark erweitert werden, indem wir in Zukunft bewusst mehrere Sinne gleichzeitig nutzen. Und die Forschung wirft natürlich auch einige philosophische Fragen auf, zeigt sie doch, dass das, was mensch gemeinhin für Realität hält, alles andere als objektive Wahrnehmung ist – nämlich letztlich nur die Interpretation verschiedener Schwingungen.

 

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vOICe: http://www.seeingwithsound.com

 

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