Gibt es eigentlich ein Gesetz, das besagt, dass Städte hässlich und unwohnlich sein müssen? Wer hat nicht schon einmal vor einem Neubau gestanden und sich gefragt, ob das nun tatsächlich der inspirierendste Entwurf war, den die 200 kreativsten Architekten der Stadt zu Stande gebracht haben. Und ob man bei der Konzeption eigentlich überhaupt in Betracht gezogen hat, dass hier nicht nur Gegenstände gelagert werden sollen, sondern dass hier eines Tages tatsächlich empfindsame lebendige Wesen wohnen werden.

In Portland hat eine Gruppe von Aktivisten nun die Nase voll: Die Stadt ist als Lebensraum nicht zu gebrauchen, sie ist in ihrer Funktion als Ort des gemeinsamen Lebens regelrecht kaputt. Deshalb haben sie die Organisation City Repair ins Leben gerufen und reparieren seither ihre Stadt – Nachbarschaft für Nachbarschaft.

Die dümmstmögliche Lösung

Wenn Mark Lakeman von City Repair über moderne Städte spricht, kann er seine Fassungslosigkeit kaum verbergen:

„Unsere Städte und Plätze sind überhaupt nicht mehr unsere. Wir gestalten sie nicht nach unseren Bedürfnissen. Unsere Leben sind in Zonen eingeteilt, als ob wir eine Ressource wären, die verwaltet werden muss. Dort werden wir untergebracht, und da arbeiten wir dann um diese Unterkunft zu bezahlen, in der wir uns eigentlich kaum aufhalten. Ein bisschen Mischnutzung hier. Monokultur-Nutzung da. Ein Parkhaus. Vielleicht ein Fluss. Und ein Park. Es verbindet sich nicht, es ist nichts Ganzes.“

Das war nicht immer so. Für lange Zeit in der menschlichen Geschichte war das Dorf der Ort des Lebens, des Arbeitens und der Begegnung zugleich. Mit dem Anwachsen der Siedlungen kam vor allem eines: die Isolation. Auf dem Weg vom Dorf zur Stadt ist das Wesentliche ganz offensichtlich verloren gegangen. Die menschlichen Bedürfnisse scheinen sich nunmehr der Stadt unterordnen zu müssen. Nur: Für wen ist die Stadt dann? Ist sie nicht ein Ort, den wir Menschen ganz explizit für uns selbst geschaffen haben? Wenn nicht für uns, für wen ist die Stadt dann? Und welchen Zweck erfüllt sie noch?

Tatsächlich verblüffende Fragen, denen auch Mark Lakeman noch immer verständnislos gegenübersteht:

„Es ist die dümmstmögliche Lösung und das manifestiert sich in einem Holocaust unserer Kreativität und unseres Gefühls, lebendig zu sein. Es ist unvorstellbar, wie ineffizient das ist und wie schmerzhaft.“

Das ist ein öffentlicher Platz, niemand darf ihn Nutzen!

TeehausDas erste Projekt, das sich City Repair vornahm, war eine Kreuzung – nicht unbedingt der naheliegendste Ansatzpunkt. Aber einen symbolischeren Ort des Treffens gibt es kaum und Lakeman konnte auf seinen Reisen feststellen, dass Kreuzungen in anderen, dörflichen Kulturen ganz explizit Orte des Treffens waren. Orte, an denen sich die Wege eben kreuzten und zur Begegnung einluden.

Gerade amerikanische Städte mit ihrem Reißbrett-Aufbau, bieten allerdings überhaupt keinen Platz, an dem man verweilen könnte.

„In Amerika ist unser Archetyp die Hauptstraße, die kein Zentrum hat. Sie ist nur ein Strom. Sie ist ein Bewegungs-Korridor. Man versucht die modernen Menschen zu kontrollieren, sie in Bewegung zu halten und sie sich nicht treffen zu lassen, wie sie es in einem Dorf tun würden.“

Also wurde die Kreuzung repariert: Erstmal wurde sie farbenfroh angemalt, dann entstanden nacheinander eine Gemeinschafts-Bücherei, ein Kinderspielplatz, ein Begegnungs-Ort und ein kleines Teehaus. Und plötzlich war die Kreuzung ein Ort bunten Lebens. Die Nachbarschaft, die sich bisher kaum kannte, hatte auf einmal ein gemeinschaftliches Projekt und ist seither in ständigem Dialog über den weiteren Ausbau.

Die erste Reaktion auf das Projekt von Seiten der Stadt war bezeichnend: Geht nicht, verboten. „Das ist ein öffentlicher Bereich, niemand darf ihn nutzen“, wurde City Repair in unbeabsichtigter Komik mitgeteilt. Gründlicher kann man öffentliche Orte wohl kaum missverstehen.

Dann aber sah die Stadt, was geschah – und inzwischen hat City Repair in Portland 300 Projekte realisiert und erhält rege Unterstützung durch die Bürgermeisterin. Überall entstehen kleine Gemeinschafts-Oasen, die Idee greift langsam um sich. Immer mehr Nachbarschaften bitten City Repair um vermittelnde Hilfe und es wird mittlerweile konstant an mehreren Dutzend Projekten gleichzeitig gearbeitet.

City Repair Lebensräume

Depave – Weg mit dem Asphalt

Ein neues Unterprojekt von City Repair ist Depave.org – wie der Name schon sagt, wird hier Betonflächen und Asphaltstreifen zu Leibe gerückt, um der atmenden Erde darunter wieder zu Sonnenbad und Regenschauer zu verhelfen. 2008 wurde das erste Projekt gestartet: Hunderte Freiwillige rissen einen alten Parkplatz auf und verwandelten ihn in einen gemeinschaftlichen Gemüsegarten und Treffpunkt.

In fast jeder Stadt gibt es verwaiste Beton- oder Asphaltflächen, die auf diese Weise umgewidmet werden könnten – allein in Portland konnten bereits etliche Flächen „depaved“ werden.

Absurde Prioritäten

Mark Lakeman ist sich bewusst, dass es sich bei solchen Projekten um kleine Schritte handelt – andererseits könnten diese aber schon bald ums sich greifen. Und City Repair ist ja auch nicht das einzige Projekt dieser Art, wie der Trend zu Gemeinschaftsgärten und Phänomene wie Guerilla Gardening zeigen. Immer mehr Menschen fühlen: Natur, Kreativität, Schönheit und Leben müssen Einzug in unsere Städte erhalten. Die dadurch wiedergewonnene Lebensqualität ist Teil der Lösung unserer Zivilisationskrankheit – und sollte deshalb zu unseren Prioritäten gehören.

„Es hat sich schon immer so absurd angefühlt in der Zeitung zu lesen ‚Hier ist was falsch und hier ist was falsch und hier ist was falsch‘ und zu wissen, dass wir alle uns hilflos fühlen überhaupt irgendwas zu unternehmen, weil wir ja wieder zur Arbeit müssen. Das ist die Arbeit! Jedes Viertel in Amerika ist von dieser Absurdität gekennzeichnet. Da werden Kinder zu Opfern, da ist häusliche Gewalt. Aber am Anfang des nächsten Tages ziehen wir uns alle an und gehen zu einer Arbeit, die wir weder respektieren noch genießen. Und am Ende dieses Tages sind wir keines dieser schreienden Probleme in unserer Gemeinschaft angegangen. Das Schöne, was jetzt passiert, ist, dass Dutzende und Dutzende Leute sagen ‚Ja, ich habe meine Kraft‘ und dann diesen physischen Ausdruck davon erschaffen, wie diese aussieht.“



 

Die Zitate stammen aus einem Interview, das YES! Magazine geführt hat.

 

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3 Responses

  1. bo

    @ Volker:
    Wo hat sich dieser „Fachidiot“ sein Wissen angeeignet? Von Farbenlehre hat der leider nicht mal einen blassen Schimmer.
    Wenn er alle Farben auf der Palette zusammen mischen würde, bekäme er „braun“! Bei farbigem Licht kommt „weiß“ heraus! Weder das grell blendende Hallogen-blau, noch das verdunkelnde Laternen-orange.

    Aber wenn Architekten so viel davon verstehen, wie es scheint, dann geben wir leider den falschen Menschen die Aufgabe unsere Umwelt zu gestalten in die Obhut.

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  2. Astrid Jordan

    Die Initiative der Menschen von City Repair hat mich begeistert. Ich selbst bin Stadt-und Regionalplanerin und seit einigen Jahren versuche ich menschliche und ganzheitliche Planungsansätze umzusetzen, was sich in unserer Gesellschaft allein schwer realisieren lässt. Mein Lebensort ist Berlin – Brandenburg. Sollte es hier ähnlich denkende Menschen oder Institutionen geben, die gern in Gemeinschaft und mit neuen Ideen etwas verändern möchten, so würde ich mich über eine Kontaktaufnahme sehr freuen. Meine E-Mail-Adresse: templin@oekowohnprojekte.de

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  3. Volker

    Das Städte so grau sind liegt an einem Irrtum der Architekten. Mir wurde dieser von einem Architekten im Herbst 2009 mit Inbrunst erklärt und dann von ihm verteidigt: „Wenn man alle Farben auf einer Palette mischt, so erhält man Grau. Damit ist Grau viel bunter als ein Regenbogen.“
    Diesen Irrsinn lernen sie an der Universität – und sie glauben ihn auch noch.

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